Ruhe im Affentum — Stille Perspektiven für das neue Jahr

Ohne größte innere Ruhe hätte ich nie entkommen können. Und tatsächlich verdanke ich vielleicht alles, was ich geworden bin, der Ruhe. Von heute aus gesehen scheint es mir, als hätte ich zu zumindest geahnt, dass ich einen Ausweg finden müsse, wenn ich leben wolle, dass dieser Ausweg aber nicht durch Flucht zu erreichen sei — [auch wenn] einem Affen die Flucht immer möglich sein soll.

In Franz Kafkas Erzählung Ein Bericht für eine Akademie1 berichtet der Protagonist über seine Vergangenheit im Affentum. Dabei beschreibt er nicht etwa den Wunsch nach Freiheit, sondern nach einem Ausweg aus seiner Gefangenschaft. Diese tiefgründige Reflexion über die menschliche Natur (der Protagonist ist am Ende dem Affentum entkommen) lässt uns fragen: Ist es wirklich die Freiheit, die wir suchen, oder nur die Möglichkeit, uns den Umständen anzupassen?

Kafkas Protagonist offenbart, dass wahre Freiheit eine Illusion sein könnte. Selbst im sogenannten Menschsein bleibt man stets gefangen – gefangen in gesellschaftlichen Normen, Erwartungen und Zwängen. Der Wunsch, weiterzukommen, spiegelt unseren ewigen Drang wider, uns von diesen Zwängen zu befreien, auch wenn wir oft nur einen Käfig gegen einen anderen eintauschen.

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Weiterkommen! Weiterkommen! Nur nicht mit gehobenen Armen stillestehen, angedrückt an eine Käfigwand.

Dieser Ausruf verkörpert den inneren Kampf: Die Angst, stillzustehen, unfähig, die Ketten der eigenen Existenz zu sprengen – und gleichzeitig der Drang, sich aus diesen Begrenzungen zu lösen, weiterzukommen, auch wenn wir den Käfig nicht immer verlassen können.

Im Ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen. Im übrigen will ich keines Menschen Urteil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur.

Kafkas absurde Erzählung hat für uns in dieser Affentum ähnlichen Welt des 21. Jahrhunderts viel Gewicht und Bedeutung. Die Frage nach dem Ausweg bleibt auch heute relevant, gerade in einer Welt, die uns immer wieder fordert, uns anzupassen und weiterzukommen. Vielleicht liegt die wahre Freiheit nicht im bloßen Streben nach Veränderung, sondern in der Fähigkeit, im Moment der Ruhe eine neue Perspektive zu finden.

Möge das kommende Jahr uns Momente des Innehaltens schenken, damit wir die unsichtbaren Fesseln unserer Existenz erkennen und lösen können.

  1. Zitate entnommen: Kafka, F. (1952). „Das Urteil und andere Erzählungen“. Frankfurt am Main: Fischer.

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